hauptberufliche Yogalehrerin

Über den Alltag in der Freiberuflichkeit

Du bist Yogalehrerin? Hauptberuflich? Da hast du ja bestimmt viel Freizeit!

„Dein Leben möchte ich haben“ diesen Satz habe ich im letzten Jahr oft gehört und ja mein Leben ist wirklich wunderbar. Jedoch ein wenig anders als es nach außen wirkt. Da geht es mir wahrscheinlich wie Künstlern, Bloggerinnen und anderen Berufssparten die nach außen nach viel Spaß und Freizeit wirken. Unsere Arbeitswelt hat sich gewandelt und ein 9-5 Job ist nicht unbedingt mehr das gängige Model. Weil es mir leid ist ständig mit knirschenden Zähnen zu lächeln oder zu erwähnen, dass meine Tage oft sehr lange sind und inspiriert von dem Blogeintrag einer erfolgreichen Frau habe ich mich dazu entschlossen einen ganz normalen Arbeitstag zu beschreiben. Viel Vergnügen beim Lesen!

6:15 mein Wecker läutet mit einem wohl ausgesuchten Lied von Boy, das ich im Übrigen oft und gerne in meinen Yogaklassen spiele. Ich gönne mir 10 Minuten in den Himmel schauen und versuche die Müdigkeit auszuatmen. In 60 Minuten klingelt meine erste Kundin an der Tür – ich nutze die Zeit um mich zu duschen, anzukleiden, den Geschirrspüler auszuräumen, Wäsche zusammenzulegen und für all die Dinge die es zu erledigen gilt. Halb acht: meine geliebte Kundin tritt ein und ich freue mich ehrlich sie zu sehen. Sie nimmt auf der Matte Platz und ich schließe die Augen, erfühle die Stimmung, ihre Bedürfnisse. Mit ruhiger Stimme, am Boden sitzend um mich zu erden leite ich sie durch die ersten Positionen, stehe auf und gebe liebevolle Ausrichtung in den Asanas. Nach einer halben Stunde legt sie sich auf die Matte und ich schließe die Einheit mit einer Thai Nuad Massage. Sanft und langsam arbeite ich mit ihrem Körper. Wir vereinbaren zwei Folgetermine und ich verabschiede mich. 30 Minuten bevor ich zu meinen nächsten Privatkunden muss. Wissend das die nächste Mahlzeit gegen 21:15 auf mich wartet nehme ich mir Zeit für Kaffee, Eier und ein Stück Brot. Die Zeit von Hietzing in den 18. Bezirk nutze ich um meine Mails zu beantworten, auf Instagram und Facebook zu posten, Kundentermine zu vereinbaren und zu verschieben – zufrieden über das Tetrisspiel mit meinem Terminkalender läute ich bei meinen nächsten Kunden an. Die 74-jährige Dame öffnet mir gut gelaunt die Tür. Ich muss eine Weile überlegen dann fällt mir auch schon ein worüber wir letzte Woche geplaudert haben. Schnell knüpfen wir daran an und sie fühlt sich sicher aufgehoben. Um die Yogapraxis kreativ zu gestalten muss ich mir Woche für Woche neue Übungen ausdenken, die auch eine Dame fortgeschrittenen Alters bedenkenlos ausführen kann. Die 30 Minuten verfliegen und auch sie landet für eine abschließende Massage auf der Matte. Es ist still, ich erlaube mir mit ihrem Körper zu verschmelzen, gemeinsam wiegen wir uns in geschmeidigen Bewegungen und gegen Ende muss ich lächeln, weil ich es so schön finde. Fliegender Wechsel: ihr Mann tritt ein und klagt über seinen Ischias. Der renommierte Arzt vertraut mir seinen Körper blind an und ich öffne und entlaste seine Muskulatur. Er genießt die Gespräche über griechische Philosophie mit mir und ich versuche mich angestrengt an meine Vorlesungen zu erinnern. Seine Hand auf meinem Schenkel lege ich sachte zurück am Boden. Dann folgt das schlechte Gewissen, weil ich schon wieder weg und Kaffee, Kuchen und Obst dankend ablehnen muss.

Schnell ein doppelter Espresso am Weg, die geliebte Freundin auf in zwei Wochen vertröstet und schon bin ich in meinem eigenen Studio angekommen. Ich räume Gläser und Handtücher weg, zünde Kerzen an, koche Tee und habe noch 45 Minuten Zeit um selbst zu praktizieren. Auf der Matte fliege ich durch ein paar Sonnengrüße, übe Handstände und Armbalancen.  Bodenpositionen lass ich lieber aus – nur nicht die Energie abfallen lassen. Der nächste Kunde ist ein ehemaliger Profisportler, er erwartet sich gute Laune, laute Musik und eine kraftvolle Praxis. Während er anschließend duscht trinke ich meinen mitgebrachten Smoothie in der Sonne und mache mich schon wieder auf den Weg in den 7. Bezirk. Auch dort richte ich Kekse, Tee und Kerzen her und freue mich auf die kommenden Stunden. 17:00 Yoga für Anfänger. Es kommen jedoch ganz viele Fortgeschrittene. Ich betrete die Klasse, frage die TeilnehmerInnen was sie machen möchten. Wähle dazu wohl überlegt passende Musik. Die nächsten 90 Minuten versuche ich die Balance zwischen fordernder Praxis für die Geübten und liebevolles Annehmen für die Neulinge zu halten – Savasana. In der Endentspannung länge ich Beine, beruhige Herzen, löse Nacken- und Schulterverspannungen. Dann kommt der Moment den ich am meisten liebe: ich setze mich auf meine Matte und sauge die Energie im Raum auf. Mich überkommt die pure Liebe, all der Frieden im Raum findet Platz in meinem Herzen und ich kann das Glück kaum fassen das täglich erleben zu dürfen.

Die Klasse ist zu Ende. Smalltalk, lachen, verabschieden der alten und begrüßen der neuen Kunden. Ich hab unendlich Hunger. Schnell esse ich eine Banane und ein paar Nüsse und dann geht es auch schon mit der 19 Uhr Stunde weiter „Relax and Restore“. Ich entschließe mich keine Musik zu spielen, erneut frage ich nach den Wünschen der Teilnehmenden. Die nächste Stunde 30 sind ruhig und unspektakulär, wir atmen, dehnen, machen Partnerübungen und Selbstmassage. Ich switche meine Energie und werde unendlich langsam um Raum aufzumachen. Für mich und die Anderen. Gegen Ende spüre ich in mich hinein: ich habe genug Energie. Noch einmal massiere ich die Körper der Anwesenden. Diesmal länger, mit noch mehr Hingabe.

Bevor ich das Studio verlasse räume ich auf und schaue auf mein Telefon: 3 Einladungen um den Freitagabend in Gesellschaft ausklingen zu lassen. Ich bin aufgekratzt und muss mich selbst dazu zwingen abzusagen. Es wartet morgen ein langer Tag auf mich. Am Heimweg kaufe ich mir etwas zu essen und schaue aus dem Straßenbahnfenster. Zuhause angekommen überweise ich Trainerhonorare, schreibe eine Honorarnote, drucke Rechnungen aus. Dann stelle ich mich unter die kalte Dusche und wasche diesen langen Tag von mir ab. Es ist 22 Uhr. Am Balkon rauche ich die einzige Zigarette des Tages und schaue in den Nachthimmel.