Über das bewusste Treffen von Entscheidungen
Wer schon länger Yoga praktiziert kennt das bestimmt: Fünf Lehrer bedeuten fünf verschiedene – meist dogmatische – Erklärungen einer Asana. Ich kann mich noch gut an mein erstes Yogaretreat erinnern: morgens erklärte der Lehrer die Position so und abends die Lehrerin ganz anders. Wer hat nun recht? Zumeist alle. Solange wir uns an grundsätzliche anatomische Gegebenheiten der körperlichen Struktur halten, ist die Diskussion ob der Lordose im unteren Rücken und die Hüftstellung im ersten Krieger – eine die Menschen wie mich zwar in helle Aufregung und Begeisterung versetzt – jedoch eine sehr abstrakte.
Was wir aus dieser Erfahrung für die Yogapraxis mitnehmen können ist, dass die Einnahme jeder Asana eine Entscheidung ist. Standing Split mit offener Hüfte ist eine andere Position als mit einem geraden Becken. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. So können wir Tag für Tag auf der Matte üben bewusste Entscheidungen zu treffen. Das klingt so einfach – jeder Yogi und jede Yogini weiß jedoch wie schnell wir von der Anleitung verunsichert sind, uns an den Anderen im Raum orientieren, die eigenen Limitationen übergehen. So finden wir uns am Ende einer Praxis in Savasana und haben das Gefühl uns durch die Stunde durchgeschwindelt zu haben. Wenn das bei sich bleiben nun bereits auf der Matte so schwerfällt, dann ist das „off the mat“ eine noch viel größere Herausforderung.
Ich unterhalte regelmäßig Freundinnen und Familie mit meinen skurrilen Erzählungen von Begegnungen, in die ich mich ständig hineinmanövriere. Weil ich an der Aufgabe eine Entscheidung bewusst zu fällen täglich scheitere. So hat uns den gesamten Jänner und Februar meine männliche Reinigungskraft unterhalten, die mehrmals wöchentlich unangemeldet aufgetaucht ist – zumeist mit Essen – um sein „Projekt zu vollenden“. Ich weiß bis heute nicht was sein Projekt war und eigentlich auch nicht was der gute Mann stundenlang in meiner Wohnung, ohne meine Anwesenheit, gemacht hat. Recht häufig habe ich Dates, von denen ich erst erfahre, wenn ich bereits mittendrin bin. Weil ich auch da nicht klar kommunizieren kann. Von Kundenabsageregelungen, die ich inkonsequent bis nicht einhalte, gar nicht erst zu schreiben!
Meine ehemalige Psychotherapeutin hätte nun mit mir den Ursprung des Problems gesucht und es bis zur Erschöpfung analysiert. Mit dem Ergebnis, dass ich mich schlecht gefühlt habe. Natürlich ist mir klar, dass all das von dem Bedürfnis gemocht zu werden geleitet wird. Statt es zu analysieren und zu rationalisieren, vertrete ich jedoch heute den Standpunkt zu üben. Liebevolles praktizieren auf der Matte. Von Asanas. Bei sich bleiben. Trotz der Anleitung des Lehrers/ der Lehrerin. Trotz der Superyogini auf der Nachbarsmatte. Zu atmen, meine Grenzen respektieren und bewusstes Einnehmen von Haltung – Tag für Tag. Dann werden die Entscheidungen im Leben auch bewusster und klarer und eines Tages sehr frei! Ich freu mich drauf.