„In Russland haben wir nur Melonen gegessen, weißt du?“ Weiß ich nicht Opa, ich bin ein verwöhntes Kind im Frieden geboren.

Bald hättest du Geburtstag Loisl. Du wärst alt, wie alt weiß ich nicht. Aber du hast ja nur jedes vierte Jahr gefeiert und nach tatsächlichen Kalenderjahren wärst du nicht so alt. So besonders warst du. Für mich. Und doch weiß ich so wenig über dich. 

So viel Zeit haben wir zusammen verbracht, du alter Mann. Aber selten haben wir über dich geredet. Politisiert haben wir. „Du wirst schon sehen was du davon hast, wenn alle ein Kopftuch tragen und du die Minderheit bist, bei den ganzen Ausländern.“ Dann haben wir gestritten und uns geeinigt, dass die ÖVP an allem schuld ist und gelacht. Gelacht haben wir viel. Du warst so ein fröhlicher Mensch. 

Immer guter Laune. Das Leben hast du genossen. Du konntest nicht schwimmen, trotzdem bist du jeden Tag in deinen Pool gesprungen und gepaddelt wie ein junger Hund. Ganz selten hast du erzählt. Von dir. Dass du so arm warst als Kind und ihr Schlamm gesammelt habt, den habt ihr zu Kugeln geformt und rot gefärbt. Irgendwer hat das wohl gekauft zu Weihnachten. 

Du warst noch ein Kind, als du im Krieg warst. „Angeschissen haben wir uns vor Angst im Schützengraben.“ Du pausierst immer nach diesem Satz. „Aber wirklich angeschissen, Sandra!“Melonen konntest du keine mehr essen, dein ganzes Leben. „In Russland haben wir nur Melonen gegessen, weißt du?“ Weiß ich nicht Opa, ich bin ein verwöhntes Kind im Frieden geboren. Du hattest „Glück“. Granatsplitter haben dich getroffen und dich hat irgendein Oberleutnant wieder mit nach Wien genommen. Da konntest du dich nun dein ganzes Leben daran erinnern, dass du als Kind Kinder umgebracht hast. Dann hast du versucht zu vergessen und gearbeitet. Immer. Deine Kinder waren enttäuscht, zu wenig warst du da. Keinem Fußballspiel zugeschaut, nur gearbeitet und Haus gebaut und versucht zu vergessen. 

Es scheint das Glück der Rolle des Enkelkindes zuzukommen, zu gewähren. Mit dem Abstand kann man (ich) mit so viel Bewunderung und Liebe zu dir sehen. Ich bewundere wie du gelacht hast, was du aufgebaut hast, wie friedlich du warst, was du geschenkt hast, wie du dein Leben genießen konntest. Auf deiner Terrasse, mit deiner Kronen Zeitung, hast du dein „Römerquelle“ getrunken. „Aber nur nicht zu viel. Mehr Leitungswasser als Mineralwasser.“ Ich habe dich nie gefragt warum. So viel habe ich dich nicht gefragt. 

Wenn du mich in die Wange gekniffen und mir eine leichte „Tetschn“ gegeben hast, nanntest du mit liebevoll „deppertes Mensch“ und ich habe gespürt, dass das dein Ausdruck von Liebe ist. 

Wir waren alle zwei Wochen fein essen und haben gescherzt, diskutiert und Wein getrunken. Einmal im Jahr bist du mit meiner Schwester und mir einkaufen gegangen. Lieber wärst du zum „Tlappa“ gefahren und hättest uns was Schönes geschenkt. Aber weil du du warst, bist du mit uns zum „Peek & Kloppenburg“ und hast uns eine Freude gemacht. 

Das Leben spielt, wie das Leben so spielt und so war dein Ende kein Gutes. Im Streit mit dem Großteil der Familie hast du Abschied genommen. Bei meinem letzten Besuch habe ich aufgeräumt, in deiner kleinen Wohneinheit. „Aber trink das nicht, Sandra. Das ist kein Apfelsaft!“ hast du beschämt gesagt. Ich habe deinen Kopf gestreichelt und das Glas ausgeleert, das du neben dir hattest. Als du diese Erde verlassen hast, war ich in Thailand und meine wichtigste und bedeutendste Yogalehrerin hat mir gesagt, dass du nicht länger mit uns bist. Ich war nicht bei deiner Beerdigung und gehe nie an dein Grab Opa. Aber es vergeht keine Woche, in der ich nicht an dich denke.