Eure Armut kotzt mich an!

„..und wir die fleißig arbeiten..“ ruft einer der begeisterten Zuhörer von Kanzlers intimer Runde. Bei feinem Wein und Snacks darf man in angeheiterter Stimmung Karl Nehammers Vorstellung von dem Alltag des Pöbels in Österreich lauschen. Die Teilzeitquote erhöhe sich trotz angeblicher Armut nicht. Eltern könnten sich kein warmes Essen leisten. Faul sind sie die Menschen.

Was der Kanzler nicht sagt ist, dass es für viele Mütter schlicht keine andere Option gibt. In vielen Orten Österreichs gibt es einfach keine Möglichkeit zur außerfamiliären Kinderbetreuung. Staatliche Kinderbetreuung ab 7:00 morgens bis 18:00 – ohne Mittagspause – gibt es nur in der Bundeshauptstadt. Was er außerdem nicht sagt ist, dass viele Frauen nicht Vollzeit arbeiten können, da die Betreuung von Kindern unfassbar fordernd und zeitintensiv ist. Seit der Aufgabe des traditionellen Rollenbildes leisten so viele Frauen zusätzlich zu der Lohnarbeit die gesamte Care-Arbeit. Unzählige dieser starken Frauen in diesem Land sind ausgebrannt. Aber das weiß der Kanzler nicht.

Wer kein Geld hat muss einfach mehr arbeiten. Wenn die Vollzeitarbeit nicht ausreicht, um die Familie zu ernähren dann muss man sich eben einen zweiten Job suchen und einen dritten eventuell auch. Da muss man gut aufpassen und auch das hören was der Kanzler – noch – nicht sagt. Das System ist rigid sagt er. Da gibt es die lästige Sozialpartnerschaft, die unsägliche Gewerkschaft. Aber was sagt er da noch? Die hindernden Einwände der Wirtschaftskammer. Er greift also das komplette System an, das uns ein friedliches Miteinander erlaubt. 80% der Beschäftigten haben einen Kollektivvertrag hört man ihn verärgert sagen. Die alle wollen höhere Löhne und geben sich nicht mit so gut durchdachten abgabenfreien Einmalzahlungen zufrieden. Herrgott nochmal, dabei meint er es so gut. Almosen statt Sozialleistungen. 

Bevor er sich auf die gut funktionierenden Institutionen mit Kritik stürzt, lässt er allerdings noch eine Runde Hohn regnen. Kinder sollen keine warme Mahlzeit haben? Aber geh, ein Hamburger und kleine Pommes kosten 3,50 €. Das kann sich wirklich jede Familie leisten. Nein, Karli. Das kann sie nicht! Das ist so jenseits der Realität vieler Menschen in diesem Land. Für sehr viele Menschen sind 3,50 € für ein Essen Luxus. Aber das weiß der Karli nicht. Denn der Karli kommt aus einer Familie der fleißigen Leute. Da gibt es keine Armut. Da putzt man seinen Kindern die Zähne, bringt sie rechtzeitig ins Bett und kocht ein gutes Essen. Am Sonntag gibt es Fleisch. 

Ich komme leider aus einer nicht so fleißigen Familie. Meine Mama hat eine Lehre gemacht und für einen viel zu niedrig ausverhandelten Kollektivvertrag gearbeitet. Dann hat sie zwei Kinder bekommen und ihnen die Zähne geputzt und für sie gekocht. Nach der Scheidung hat sie Teilzeit gearbeitet als Assistentin in einem Kindergarten. „Working Poor Job“ heute wie damals. Karli du kennst keine Kartoffeltage. Ich kenne ganze Wochen. Ich weiß wie es ist, auf Skikurs nicht mitfahren zu wollen, weil die eigene Kleidung nicht die der Peergroup ist. Aber ja, wäre meine Mama fleißiger gewesen, hätte sie eben Vollzeit gearbeitet und uns der Fernseher großgezogen. 

Den Kanzler wundert die ausbleibende Entrüstung der Bevölkerung. Wo sind die Leser*innenbriefe fragt er? Wenn es den Leuten wirklich so schlecht geht, dann würden sie sich ja wohl melden! Lieber Karli, die Menschen sind müde. Eltern, die die Wohnung im Winter nicht heizen und ihren Kindern keine warme Mahlzeit zubereiten können, schreiben keine Briefe an Zeitungen. Sie lesen oft keine Zeitungen. Aber die Wut, ja die Wut ist groß. Deshalb werden Fremdenhass und die FPÖ stärker. 

Meine Wut auf die ÖVP ist immens. Auf Menschen wie dich, denen es einfach gut geht und die nicht um ihr Privileg wissen. Aber auch auf Menschen wie den Genossen Doskozil und Nevrivy. Ihr seid es, die die Menschen in diesem Land brauchen. Durch Querschüsse und Selbstbereicherung macht ihr meine Partei kaputt und dieses Land braucht eine starke Sozialdemokratie mehr als einen Bissen Hamburger. „Kann Babler Kanzler?“ fragen sich derzeit alle großen Printmedien des Landes. Er muss!