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Essstörung

Über Essstörungen, Selbstwahrnehmung und dem langen Weg sich zu sehen

Das erste Mal absichtlich übergeben habe ich mich mit zwölf Jahren. Danach folgte über ein Jahrzehnt geprägt von einer Mal stärker dann schwächer ausgeprägten Essstörung. In meiner dünnsten Phase wog ich 46 Kilogramm bei einer Größe von 1,70 Meter. Eine kaum erschreckende Zahl angesichts der Magermodels dieser Welt. Es wäre jetzt sinnbefreit über die verschiedenen Stadien meiner Krankheit zu berichten – dazu gibt es genügend publizierte Artikel. Was jedoch Sinn macht, ist darüber zu sprechen. Nicht leise, versteckt und beschämt, sondern offen und laut.

Nichts ist befreiender als Gespräche mit anderen wunderbaren Frauen. Wenn wir uns darüber lustig machen welche Lebensmittel leichter wieder auszukotzen sind, wie man es am besten vor der Familie versteckt oder wie man es so offensichtlich macht, dass man nur schreien möchte ob der Tatsache, dass es niemand bemerkt. Und ich kann Dir eines sagen: es betrifft nicht nur Dich. Es betrifft uns beinahe alle. Ich kenne keine Frau, die nicht in der H&M Garderobe zu weinen beginnt oder mit ernsthaften Suizidgedanken spielt. Sich im Vergleich mit dem Mädchen von nebenan wie ein Elefant im Porzellankasten fühlt und im öffentlichen Bad ein Tuch um die Hüfte schlingt. Umso wichtiger mit diesem Tabu zu brechen und es einfach laut sagen. Ganz gleich wer mit mir spricht bekommt relativ rasch zu hören, dass ich jahrelang Bulemikerin war und wohl mein Leben lang mit einer gestörten Selbstwahrnehmung zu kämpfen haben werde. Warum mach ich das? Nicht weil ich mein Gegenüber mit einer Selbsthilfegruppe verwechsle, sondern weil ich Raum öffne. Nur in diesem offenen Raum können wir uns wahrhaftig begegnen und Heilung erfahren. Heilung ganz gleich welcher Wahnvorstellung Du auch nachlaufen magst.  Nur wenn wir einander ehrlich begegnen besteht die Möglichkeit aus dem gezeichneten Rahmen auszubrechen und Neues zu schaffen.

So absurd es klingen mag haben Instagram und Facebook einen großen Anteil an meiner liebevolleren Selbstwahrnehmung. Ich poste bewusst Fotos von mir im Bikini. Anfangs hauptsächlich von meinem Bauch – den mag ich gern – doch langsam wagte ich mich an für mich tatsächlich panikauslösende Bilder heran. Vorwiegend veröffentliche ich Fotos von meinen Beinen. Die ich, so lange ich denken kann, mit Verachtung bestrafe. Und so setze ich sie bewusst in Szene und stelle mich der Reaktion der Außenwelt. Ich lebe immer noch und bis jetzt ohne gröbere Beleidigungen. Social Media ist für mich so etwas wie ein therapeutisches Korrektiv geworden. Ich bin noch lange nicht dort wo ich sein möchte. Beinahe täglich erhält mein ehemaliger Lebenspartner einen Anruf von mir mit der Frage: „Bin ich dick geworden?“ und eine Freundin von mir hat mich heute irritiert beim Jeanskauf darauf hingewiesen, dass sie meine lieblose Bemerkung „In der Hose schau ich blad aus.“ als äußerst unpassend empfindet. Für so gut wie alle Issues habe ich eine Lösung gefunden, die mir erlaubt mein Leben heute sehr frei und schön zu genießen. Therapie, Selbstreflexion, Freunde, Familie und meine Yogapraxis haben dazu ihren Beitrag geleistet. Doch hier geht es langsamer, viel langsamer. Mir zu langsam.

Heute hatte ich ein Fotoshooting. Von dem ich eine Woche zuvor schon wusste. Ich habe keinen Tag gefastet, gekotzt oder abführende Lebensmittel zu mir genommen. Keine Sekunde habe ich daran gedacht. Lediglich gefreut habe ich mich darauf Fotos, in schönen Posen, von mir zu machen. Dabei habe ich sogar manchmal vergessen meinen Bauch einzuziehen. Ein Anfang? Ich denke es ist viel mehr!