Wochenbettdepression

Und da war sie, die Wochenbettdepression

„Hormone können schon Arschlöcher sein“ sagt meine Schwester, als ich ihr von meiner Depression im Wochenbett erzähle. Recht hat sie. So großartig Hormonausschüttungen sein können, ebenso können sie unser Leben immens negativ beeinflussen. 

Eine postnatale Depression unterscheidet sich vom Babyblues, der einige Tage nach der Geburt auftritt und in den meisten Fällen auch nach ebenso wenigen wieder aufhört. Der Babyblues wird auch als „Heultage“ bezeichnet und nicht umsonst sagen Hebammen gerne „wenn die Tränen fließen, dann fließt die Milch.“ Mit diesem Phänomen sind etwa 70 % der Frauen nach der Geburt vertraut. So setzt der Babyblues rund um den Milcheinschuss ein und Frauen können sich erschöpft, müde, traurig, weinerlich und aggressiv fühlen. Die Wochenbettdepression kann etwa 6 Wochen nach der Geburt, manchmal aber auch erst nach dem ersten Geburtstag des Kindes, eintreten. Gekennzeichnet ist sie durch Merkmale einer herkömmlichen Depression. So kann Frau sich müde, ausgelaugt, antriebslos, traurig, ängstlich, panisch und schuldig fühlen. Die Dauer variiert von einigen Tagen, über Wochen bis hin zu Monaten. Ausgelöst werden beide Depressionen durch den akuten Abfall von Östrogen rund um die Geburt. Östrogen wirkt stark stabilisierend und erhöht die Konzentration von Serotonin, welches wiederum für unser Seelenwohl verantwortlich ist. Daher können Frauen diese Emotionen auch während der Menstruation und der Wechseljahre verspüren. 

Bei einer starken Depression nach einer Geburt, kann man wie bei jeder Erkrankung dieser Art, mit Antidepressiva behandeln. Oftmals reicht jedoch schon ein Erkennen aus, um mehr Wohlbefinden zu erlangen. Die Wochenbettdepression ist bei uns stark tabuisiert und sehr oft werden Frauen nicht ernst genommen. Es erscheint als würde die Tatsache, dass sich die Hormone eines Tages wieder stabilisieren ausreichen, um Frauen in dieser Ausnahmesituation alleine zu lassen. Gepaart ist diese Form der Depression mit starken Schuldgefühlen und Scham. Sollten wir uns nicht gerade jetzt unfassbar dankbar, glücklich und zufrieden fühlen? So löst das Gefühl eine unzureichende Mama zu sein, erneut eine depressive Stimmung aus und der Teufelskreis ist in sich perfekt geschlossen.

Nach der Geburt von Emil verspürte ich am dritten Tag, am Tag des Milcheinschusses, eine starke Sensibilität und musste sehr viel weinen. Damit war der Babyblues erledigt und ich glückselig in meiner neuen Rolle als Mama. Die Geburt von Alva durfte ich nochmals als wundervoll erleben und mit Endorphinen ausgestattet bin ich ins Wochenbett gestartet. Vorsorglich habe ich für den dritten Tag keinen Besuch geplant, doch die Tränen blieben ohnehin aus. Etwa 6 Wochen nach der Geburt von Alva begann ich mich extrem panisch zu fühlen. Ich war mir 5 Tage lang sicher einen ausbrechenden Herpes zu haben und habe mit Mundschutz geschlafen, um meine kleine Tochter nicht zu töten. Ich konnte sie kaum angreifen, weil ich mir sicher war eine Gefährdung für sie darzustellen. Gefolgt von einer eigenen Hautkrebsdiagnose, die mich eine ganze Nacht weinend am Boden unseres WCs verbringen hat lassen. Danach verspürte ich eine Ganzkörperpilzerkrankung, die mit Sicherheit das Leben von Alva und auch mein eigenes gefährden würde. Diese unfassbare Panik geht an manchen Tagen mit einem Gefühl der Traurigkeit und Antriebslosigkeit einher. Es gab und gibt immer noch Tage, an denen ich mich kaum überwinden kann aufzustehen. Für mich, als einen Menschen, der nie depressive Verstimmungen kannte, ein unfassbar unerträgliches Gefühl. Erst als ich verstand, dass das alles Zeichen einer Wochenbettdepression sind, konnte ich handeln. 

Ich suchte mir einen neuen Gynäkologen, der mich umfassend beriet und der Satz von ihm „wenn man es erstmals erkennt und benennt, ist es auch schon beinahe wieder vorbei“, zeigt sich bei mir als durchaus wahr. Ich versuche mir Alltag zu schaffen, täglich auf meine Matte zu gehen, sooft sich die Sonne im grauen Wiener Becken zeigt gehen wir spazieren und wenn der tägliche Gang zum Spiegel, um den etwaigen ausbrechenden Herpes zu kontrollieren ruft, lächle ich mir versöhnlich zu. Es gibt Tage, an denen ich mich ganz normal fühle, mit meinen Kindern unbeschwert lache und spiele, Handstände mache und tanze und ein Mittagessen koche. Doch es gibt auch jene Tage, an denen alles grau ist. Wo ich kaum Überlebenschance für mich und meinen Säugling sehe und das Bett mein bester Freund ist. Aber auch an diesen Tagen weiß ich, dass das ein Spiel meiner Hormone ist und ein Ende haben wird. 

Warum schreibe ich über diese Depression? Ich arbeite seit etwa 10 Jahren sehr eng mit Menschen. Ich massiere, halte private Yoga- und Pilatesklassen, begleite Frauen in der Schwangerschaft und danach in der Rückbildung. In diesen Momenten der Nähe, erfahre ich wirklich so gut wie alles dieser Menschen. Ihre Gefühle, Ängste und Freuden – doch ich habe so gut wie noch von Frauen erfahren dürfen, dass sie an einer postnatalen Depression leiden. Es ist ein Thema der absoluten Schuld und Scham und des absoluten Tabus und das gehört gebrochen!

Wochenbett

Das Wochenbett!

Das Wochenbett wirkt auf viele von uns in der westlichen Welt, wie ein Begriff aus alten Tagen mit dem wir wenig anfangen können. Haben doch meist weder unsere Mütter noch deren Mütter ein längeres Wochenbett gehalten und so wird das Ausrasten nach der Geburt oft als Schwäche gesehen. Ich selbst verband lange Zeit mit dem Begriff des Wochenbetts eine romantisierte Vorstellung von Frauen in Dorfgemeinschaft, die die ersten Wochen nach der Geburt ihres Kindes ruhend im Bett verbracht haben und dabei von den Frauen des Dorfes mit Essen, Rat und Haushaltshilfe unterstützt wurden. Wenn man sich aber ein wenig in die Geschichte des Wochenbetts einliest, merkt man schnell, dass diese – wie zumeist die gesamte Frauengeschichte – eine wenig Romantische ist. So galt die Frau im Mittelalter als unrein solange sie Wochenfluss hatte und musste diese Zeit abgeschottet im Wöchnerinnenzimmer verbringen. Mit dem Versiegen des Blutes , durfte sie zurück in der Kirche zeremoniell gereinigt werden. Jede Kultur hat eine andere Länge und Form des Wochenbetts und selbst in der harten Zeit des Nationalsozialismus wurde auf eine strenge Einhaltung eines 10-tägigen Wochenbettes geachtet. Dabei ging es weniger um die Achtung vor der Anstrengung der Schwangerschaft und Geburt, als darum Frau und Kind möglichst gesund und stark zu machen. Als Fazit kann man wohl dennoch ganz klar ziehen, dass ein Wochenbett mit entsprechender Entlastung und Schonung der Frau über die Jahrhunderte hinweg ein probates Mittel für eine physische und emotionale Gesundheit von Frau und Kind darstellt. 

Doch kommen wir zurück in unsere Zeit. Frauengeschichte ist geprägt durch Unterdrückung, Kampf nach Gleichstellung und meist mit Gewalt versehen. Es liegt wohl im Naturell der selbstbewussten Frau das nicht genau betrachten zu wollen. Zu schmerzhaft ist ein wirkliches Hinsehen, wie wir Frauen im Laufe der Geschichte Schwangerschaften, Geburt und das anschließende Wochenbett erlebt haben. Gut abgespeichert in der Epigenetik bedarf es einer enormen Anstrengung und Achtsamkeit diese Geschichte zu durchbrechen und zu heilen. Die Härte und Selbstverständlichkeit, die ich höre wenn ich den Geburtsgeschichten von Frauen der Generation meiner Mama lausche, lässt mich meist bedrückt zurück. Selbstverständlich ist man gleich spazieren gegangen. Natürlich war der Mann arbeiten und man hat Haushalt geschupft und Kinder betreut. Klar hatte man Schmerzen – man wurde ja schließlich brachial aufgeschnitten – aber da jammert man nicht. Frau beißt die Zähne zusammen und stellt sich dem Alltag. 2020 ist die Härte eine andere: der Mann nimmt sich doch meist zumindest 2 Wochen Urlaub, die Physiotherapeutin schaut im Krankenhaus kurz vorbei und wenn man Glück hat, hat man eine Hebamme, die zumindest erklärt wie man sich gut um seine Geburtsverletzungen kümmert. Doch soziale Foren zeigen die fitten Mamas unmittelbar nach der Geburt wunderschön, gertenschlang und trainiert. Heidi Klum läuft einige Wochen nach dem Wunschkaiserschnitt wieder eine Unterwäscheshow und die meisten von uns erliegen dem Druck lange gut zu stillen, ausgewogen und gesund zu kochen und Tiefkühlessen und Hipp-Gläser beschämen uns. Mit all der gebotenen Reflexion ist es uns, sofern dieses Wissen parat steht, die finanzielle Situation es erlaubt und das Familiengefüge stimmig ist, dennoch möglich die Frauengeschichte zu verändern.

Ich selbst habe nach der Geburt meines Sohnes, die ich als ausgesprochen schön erleben durfte, ein sehr strenges Wochenbett gehalten. Maßgeblich verdanke ich das meiner Hebamme, die mich klar auf die Vorteile hingewiesen und meinen Mann dazu beordert hat, dieses streng zu überwachen. Eine Woche im Bett, eine Woche am Bett und eine Woche ums Bett. Die ersten zehn Tage nach der Geburt gelten als frühes Wochenbett und sollten tatsächlich streng eingehalten werden. Diese Zeit ist wichtig um eine erste intensive Beziehung zwischen Mama und Kind zu ermöglichen. Die beiden kennen sich zwar schon einige Monate, aber der erste physische Kontakt bildet wahrscheinlich die Grundlage für die Beziehung. So ist ein ausgiebiges Kuscheln und Erspüren von Haut wichtig um genügend Oxytocin auszuschütten. Dieses Hormon brauchen wir ganz dringend um die Milchbildung anzuregen. Mama und Baby stimmen sich aufeinander ein und können in Ruhe eine gute Stillbeziehung aufbauen. Wenig förderlich dabei sind viele lange Besuche, bei denen die Mutter selbst für die Bewirtung der Gäste zuständig ist. Am besten bleibt ihr im Pyjama und beschränkt die Besuchszeit auf maximal eine Stunde und bittet eure Gäste etwas zum Essen mitzubringen. Im Wochenbett findet neben dem Aufbau eurer Stillbeziehung aber auch eine immense Hormonumstellung statt, die viele Frauen sehr fordern kann und oftmals in die Wochenbettdepression führt. Umso wichtiger ist es jetzt, dass du gut auf dich achtest, so viel wie möglich schläfst, die Zeit als neue Familie auskostest und dir ganz viel Ruhe gönnst.

Dein Baby ist geboren und damit hat dein Bauch wieder ganz viel Platz. All deine Organe müssen sich langsam wieder an ihren ursprünglichen Ort einfinden, der Darm organisiert sich neu und die Gebärmutter arbeitet daran sich zusammenzuziehen. Diese Vorgänge kombiniert mit der Anstrengung der vorangegangen Schwangerschaft und Geburt kosten viel Energie. Sei so achtsam und liebevoll du kannst zu dir und halte dir immer wieder vor Augen was du Großartiges leistest. Dein Körper schafft Leben und nährt Leben. 

Der Geburtsvorgang hat deinen Körper auf vielen Ebenen wohl gefordert, aber ganz besonders deinen Beckenboden. Ich erinnere mich gerne an die Geschichte meiner Osteopathin, die von einer Wiener Privatklinik erzählt hat. In der sie unzählige Male bereits nach der Geburt, als Physiotherapeutin den Hometrainer ins  Zimmer der Frau bringen musste. Eine gute Rückbildung ist unfassbar wichtig, sie fängt aber erst nach einigen Tagen ganz, ganz sanft an. Niemand käme nach einer Operation oder schweren Erkrankung auf die Idee, sich körperlich zu fordern. Uns ist allen klar, dass man sich einige Zeit schont, rastet und dann langsam mit dem Aufbau der Muskulatur – im besten Fall unter Observierung eines entsprechenden Therapeuten – beginnt. Doch Frauengeschichte ist anders! Es liegt leider auch hier an uns Frauen selbst, diese zu verändern. Die ersten Tage nach der Geburt solltest du so wenig sitzen, stehen und gehen wie möglich, um den Druck auf deinem Beckenboden so gering wie möglich zu halten. Erst danach beginnt eine sanfte Rückbildung. Als Feministin und politischer Mensch tut es mir immer wieder weh zu sehen wie brutal mit dem Körper der Frau umgegangen wird. Wie selbstverständlich Geburtsverletzungen, Gewalt im Kreißsaal und das Funktionieren der Frau in unserer Gesellschaft vorausgesetzt wird. Das Private ist Politisch und ich wünsche mir sehr eine Frau in der Politik, die sich für das Recht der Frau auf eine physische Unversehrtheit einsetzt. Das Thema bietet unzählige Aspekte und ich freue mich schon auf weitere Blogartikel dazu. Wenn du gerne mehr über ein Thema lesen möchtest, schreib mir einfach 🙂

Die Geburt meines zweiten Kindes steht an, auf die ich mich schon wirklich sehr freue. Dabei nicht nur auf das im Arm halten meiner Tochter, sondern auf die Geburt von Alva an sich. Wie bei Emil habe ich vor die ersten Wochen und Monate hauptsächlich kuschelnd im Bett zu verbringen. Denn die Welt da draußen wird es danach auch noch geben!

Der perfekte Leistungsträger

Bei der Wiener Gemeinderatswahl am kommenden Sonntag geht es um sehr viel. Zumindest für mich. Ich liebe diese Stadt. Wie keine andere Großstadt, in der ich bislang war, gelingt es Wien allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen. Als bekennende Sozialdemokratin und Mitglied der SPÖ seit über 18 Jahren, geht es mir jetzt aber gar nicht darum die Errungenschaften dieser aufzuzählen. Es sei doch erwähnt, dass wir den Luxus grüner Oasen wie den Lainzer Tiergarten oder den Grünen Prater mitten in der Stadt haben, wohnen mittlerweile teuer – dennoch leistbar – ist, die öffentlichen Verkehrsmittel unfassbar gut ausgebaut und sehr günstig sind, die Stadt eine Vielzahl an kulturellem Angebot bietet und die Kriminalitätsstatistik rückläufig ist. Nicht umsonst gewinnt unsere Bundeshauptstadt Jahr für Jahr den ersten Platz der lebenswertesten Stadt der Welt. 

Seit einigen Jahren haben wir in der Bundespolitik Menschen, die die absoluten Leistungsträger der Gesellschaft darstellen. Sie sprechen jene Leistungsträger unter der österreichischen Bevölkerung an, die tatsächlich diesem Menschenbild entsprechen und jene, die gerne so wären. Sebastian Kurz und seine Regierungsmannschaft sind die perfekten Schwiegersöhne. Ich schreibe absichtlich Söhne, weil die Frauen der Neuen Volkspartei wie gruselige humanoide Roboter wirken, die keine eigenständige Meinung und Persönlichkeit mitbringen durften. Ich glaube dem Bundeskanzler und Gernot Blümel, dass sie vor der Arbeit noch ins Fitnessstudio gehen, nicht rauchen, die Wochenenden wandernd verbringen, gemäßigt und gesund essen, einen Bestseller pro Quartal lesen und ebenso oft ins Burgtheater gehen. Sie sind makellos, unangreifbar wie unmenschlich. Diesen menschlichen Perfektionismus und Leistungsgedanken legen sie allerdings auch auf die Bevölkerung um. Es wird doch möglich sein Deutsch zu erlernen, obwohl das Budget für Begleitlehrerinnen gekürzt wurde. Ein bisschen Engagement darf man von den Menschen doch erwarten. Herr Mahrer ermahnte uns kürzlich, dass die Bereitschaft der Arbeitssuchenden ihren Wohnort an das andere Ende des Landes zu ziehen größer werden müsse. Sonst sieht man sich eben gezwungen das Arbeitslosengeld zu kürzen. Ein bisschen Flexibilität darf man sich doch wohl erwarten. Die Erweiterung auf eine 60-Stunden Woche ist ja schon fast wieder vergessen. Ohne Fleiß kein Preis liebe Leute. Finanzminister Blümel kandidiert nun in Wien für die Neue Volkspartei. Er gilt mit seinem Magister der Philosophie als der Intellektuelle der Türkisen und die Vorstellung, dass Wien tatsächlich von Menschen wie dem Finanzminister mitgestaltet wird,  lässt mich erschaudern und um meine geliebte Stadt bangen.

Zum ersten Mal seit ich denken kann, erinnere ich mich nostalgisch an die Köpfe der alten ÖVP. Waren Kdolsky, Leitl und Gio Hahn echte Menschen mit Ecken, Kanten und Makel. Ich fürchte die FPÖ und das Team HC Strache in Wien nicht. Ihr Wahlprogramm ist ehrlich, durchschaubar und es muss offenbar einen gewissen rechten Anteil an Wählerinnen in jeder Gesellschaft geben. Ich fürchte um das solidarische, schöne Miteinander dieser Weltstadt. Wo man im Kaffeehaus eine Stunde Zeitung liest und einen kleinen Braunen trinkt. Wo Leistung nicht alles und Leben mehr ist, als zu funktionieren. 

Inversion-Workshop mit Joe

Grundkurs

Grundkurs II – der Folgekurs

Backbend Workshop mit Denise und Caro & Fotoshooting

Die Schande Europas

Es hat über vier Tage gedauert, bis ich es geschafft habe mir Fotos von Moria anzusehen. Vier Tage an denen ich wohl Fotos gesehen, Berichte gelesen, Interviews gehört habe – aber es hat vier Tage gedauert, um tatsächlich zu wagen dieses Elend mit meinem Herzen zu sehen. Danach musste ich so bitterlich weinen, wie schon sehr, sehr lange nicht mehr. Zu wissen, dass mein kleines Kind wohl behütet in unserem Familienbett schläft, gut genährt, warm gebadet, in frischer Windel, in sauberer Wäsche. Zu wissen, dass wir ihn gemeinsam gestreichelt, seine Lieblingsmusik gehört haben, er seine Gute-Nacht-Flasche getrunken hat und sicher geborgen in den Armen seines Papas einschlafen durfte. Ich weiß, dass es meinen Kindern nie an etwas fehlen wird. Sie niemals hungern, frieren und Durst erleiden müssen. Sie medizinische Versorgung, eine gute Bildung erhalten werden und ziemlich sicher nie um ein Morgen bangen müssen. Das alles, weil sie das Glück hatten hier im Herzen Europas geboren zu sein. Dieses Glück hatten die Kinder, die nun in Moria hungern und frieren, keine Schuhe und kein Wasser haben, die in schmutziger Erde liegend, sich an das letzte Stofftier klammern, nicht. Mit ihren Eltern geflüchtet aus Ländern, in denen seit Jahren Krieg herrscht. Auf unvorstellbare Weise nach Europa gekommen, leben sie nun seit Jahren in den überfüllten Lagern Griechenlands. Jeder Mensch, der ein Kind zur Welt gebracht hat, muss sich nur ein einziges Mal die Frage stellen, wie aussichtlos die Situation im Heimatland sein muss, um eine Flucht über Land und Wasser mit seinen Kindern zu riskieren. Niemand flieht, wenn er nicht muss. Niemand flieht, wenn es nicht aussichtslos ist. Jahrelang hat Europa nicht gehandelt. Jahrelang hat Europa zugeschaut, wie Kinder sich in Moria selbst das Leben genommen haben. Wir kennen alle die Bilder von ihnen in Flipflops an offenen Feuerstellen und haben zugeschaut.

Erinnern wir uns an 2015, sagt der Kanzler. 2015 darf sich nicht wiederholen, sagt der Außenminister. Wer die Lager jetzt leert, trägt die Verantwortung für die nächste Zuwanderungswelle. Brandstiftung darf nicht mit Asyl belohnt werden, sagt der Innenminister. Das kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinen, sagt der Kanzler.

Mag es Populismus sein, oder das tatsächlich menschenverachtende Weltbild dieser Bundesregierung – es lässt mich erschaudern. Die Kommentare auf den sozialen Foren geben den großen Politikern häufig recht. Kein Platz für diese Kinder, kein Platz für ihre Eltern, kein Platz für diese Menschen. Immer wieder fällt 2015 und ich frage mich, was war 2015? Wo geht es uns ÖsterreicherInnen seither schlechter? Alle Kriminalitätsstatistiken sind gesunken, die medizinische Versorgung ist gesichert und wenn es uns subjektiv schlechter geht, dann nur weil es Medien und Politik so wollen. Denn es gibt keine validen Daten, die das belegen könnten. 

Minister Blümel, wenn du abends dein Kind sicher und wohlbehütet ins Bett bringst, weißt du dann um deine Politik? Weißt du was dein Handeln, deine Worte, deine Härte, deine Kälte für eine Gesellschaft bilden? Hier geht es nicht um Stimmenmaximierung, hier geht es um ein humanistisches Europa. Ein Europa, der Menschlichkeit, der Achtung vor dem Leben Anderer, ein Europa des Hinsehens und nicht bloß Hinzeigens, um die eigene Macht zu maximieren. Wohl wissend, dass diese Macht auf Kosten der Ärmsten entsteht. 

Nachdem ich fertig geweint habe, bin ich zu meinem Baby gegangen und habe es geküsst und gestreichelt. Dann habe ich mich mit einer Folge einer Serie abgelenkt, um diesen unendlichen Schmerz nicht mehr spüren zu müssen. Diese Ablenkung ist den Kindern und ihren Eltern, all den Menschen in den Lagern Griechenlands wohl nicht vergönnt. Sie leben mit dem Schmerz nicht gewollt zu sein. Sie leben mit dem Schmerz ihren Familien keine sichere Zukunft, kein warmes Bett, Essen und auch nicht genügend Wasser zum Trinken geben zu können. Das Inmitten von Europa. 

Grundkurs II